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Die deutschbaltische Literatur Im 20. Jahrhundert und ihre Rolle im lettischdeutschen Dialog
Abstract:Zusammenfassung

Das erste Unterscheidungsmerkmal der deutschbaltischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts war, daß sie, von Ausnahmen abgesehen—man mag hier etwa an die Revolutionskapitel in Siegfried von Vegesacks Roman Die baltische Tragödie denken—nicht durch Kriegserlebnisse bestimmt ist. Vielmehr wurde bestätigt, daß ihr Hauptinhalt in der Darstellung von geschichtlichen und kulturellen Kontinuitäten besteht. Diese Betonung gewachsener, lettisch und deutschbaltisch bestimmter Zusammenhänge ist es, die diese Literatur sowohl problematisierend wie problemlösend erscheinen läßt, während Heimatliteratur im allgemeinen Probleme als überwunden darstellt oder ganz vermeidet.

Das zweite Merkmal liegt darin, daß deutschbaltische Literatur in noch stärkerem Maße als andere Heimatliteraturen eine hierarchische, ländliche, geordnete, “heile”, oft religiös bestimmte, in der Tendenz zeitlose Welt präsentiert. Sie läßt die lettische Komponente als integriert in die deutschbaltische erscheinen. Nicht zufällig stammt der vielverwendete, vielgeschmähte Begriff der “heilen Welt” von dem in Riga geborenen, in Deutschland zu Ansehen und Ruhm gekommenen Werner Bergengruen.

Als dritte Eigenheit hat die Untersuchung gezeigt, daß die Lebenswelt in den gewählten Werken im allgemeinen eine Welt der höheren Schichten der Gesellschaft ist. Diese Welt wird als konservativ, kulturvoll und glaubensgeprägt geschildert, stellt mit ihrem adligen Ambiente aber auch die Ideale des gehobenen Bürgertums dar. Für das mittlere bis untere Bürgertum bieten diese Werke somit vielfältige Möglichkeiten der Identifikation, indem sie den Gegenstand bürgerlicher Sehnsucht nach einem besseren Leben in Gegenwart und Zukunft beschreiben: so hätte man leben wollen, eben weil man so nicht gelebt hat, nicht so leben konnte. Der Wunsch nach sozialem Aufstieg galt für Deutschbalten wie Letten in gleichem Maße, wobei für diese die Kenntnis der deutschen Sprache erschwerend hinzukam.

Das vierte, wichtigste Unterscheidungsmerkmal liegt darin, daß die behandelten Werke nicht nur das typische Handlungs- und Inhaltsprofil von Heimatliteratur aufweisen: Letten lebten zusammen mit Deutschen im gleichen Heimatgebiet. Ihre Werke—nicht nur die genannten—gewannen nach 1945, als Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene—viele Deutschbalten eingeschlossen—aus dem Osten nach Deutschland gekommen waren, sehr schnell eine repräsentative Bedeutung. Man sah darin eine trotz mancher Mängel ‘gute, alte Zeit’, was den immer noch andauernden Erfolg dieser Literatur erklären mag. Fragt man heute mehr nach den literarischen Anfängen und der Entwicklung des lettisch-deutschen Dialogs, was hier beabsichtigt war, so erkennt man auf jeden Fall in einigen deutschbaltischen Romanen Beispiele und Ansätze für seine Vertiefung.
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